Die Ironie der scheinbaren Harmonie

Solange Isabella Menschen nicht kennt, wird sie sich ihnen gegenüber freundlich und einnehmend oder gleichgültig benehmen, je nachdem wie sie sich von ihnen angenommen fühlt.

Lernt Isabella Menschen besser kennen, wird sie fordernder, bringt aber selber viele aktive Ideen für ein gemeinsames Miteinander ein, schließt ihren Frust und Ärger bei „falschem“ Verhalten jedoch in sich ein, motzt höchstens herum.

Sobald sich Isabella bei den Menschen sicher fühlt, lässt sie ihren Gefühlen freien Lauf. Wutanfälle mit Schreien, Kreischen, um sich schlagen, Beleidigungen, bewußtes Verletzen wollen des Gegenübers gehören dann zum Alltag. Diese Wutanfälle dauern oft 45 Minuten. Ich bleibe dann in ihrer Nähe, aber außerhalb ihrer Reichweite. Mit Diskutieren und an ihre Vernunft appelieren, erreicht man nichts. Auch Schwäche nimmt sie nicht gut auf: Traurigkeit oder Aggression ihres Gegenübers reizen sie weiter und kann sie nicht akzeptieren.
Immer wieder verfällt Isabella in Schleifen, wiederholt nur einen Satz. Sie ist dann nicht ansprechbar, voll und ganz in ihrem Schmerz, ihrer Trauer, ihrer Wut gefangen.

Fühlen sich Außenstehende bemüßigt in die Situation einzugreifen, wird es von Isabella größtenteils ignoriert. Sollte sie sich doch ablenken lassen, wird der unterbrochene Wutanfall danach umso intensiver fortgesetzt.

Auslöser dieser Wutanfälle sind kleinste Gegebenheiten, ein falsches Wort, eine Unterstützung an falscher Stelle. Die eigentlichen Ursachen liegen irgendwo im Laufe des Tages versteckt. Isabella kann sie nicht mitteilen, weil ihr die Worte fehlen. Besonders oft ärgert sie sich über ihre eigenen „Unzulänglichkeiten“, wenn sie wieder etwas vergessen hat, etwas nicht mehr kann oder andere keine Zeit hatten und einfach über sie hinweggebügelt sind.

Nach dem Wutanfall ist es, als ob Isabella aus ihren Tiefen auftaucht. Auf einmal wird ihr Tonfall freundlich und sie nimmt den Faden da wieder auf, wo wir vor dem Wutanfall gestoppt sind. Mir schwört sie danach oft ihre Liebe und ich merke ihre unendliche Dankbarkeit, dass ich wieder dabei geblieben bin.

Im Gegenzug erlebe ich immer wieder, dass mancher stolz darauf ist, wenn Isabella beim Umgang mit demjenigen keinen Wutanfall hatte. Sie haben bis dahin nicht verstanden, dass es ein Kompliment ist, wenn Isabella sich so öffnen und zeigen kann wie sie ist, mit ihrer Angst, Wut und Trauer über die Verluste, die sie bereits hinnehmen musste und immer wieder hinnimmt – sich sicher fühlt.

Ich bin denjenigen unendlich dankbar, die sich dem immer wieder aussetzen, obwohl sie es nicht müssten und damit eine wichtige Stütze für Isabella und mich geworden sind.

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