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Isabella im Kornfeld – 25. Mai 2019

Der lange Abschied vom eigenen Kind: Aus dem Leben mit NCL

Dienstag, 19. September 2019

Hallo und herzlich Willkommen auf unserer Seite „Gemeinsam gegen Kinderdemenz“.

Kinder und Demenz – dass klingt nach zwei Begriffen, die überhaupt nicht zusammen passen. Und doch ist es für etwa 700 Kinder in Deutschland und deren Familien traurige Realität. So auch für unsere Tochter Isabella.

Kinderdemenz – eigentlich NCL (Neuronale Ceroid Lipofuszinose) – ist eine Gruppe seltener neurodegenerativer Erkrankungen. Einfach erklärt vergiften sich die Nervenzellen im Gehirn der betroffenen Kinder selbst. Ihre eigene Müllabfuhr funktioniert nicht. Warum dies so ist? – Dafür gibt es bisher keine Erklärung, obwohl schon eine Zeit lang Forschung an NCL betrieben wird. Je nach Typ der NCL treten die ersten Symptome im Alter von 0 bis 10 Jahren auf. Meist trifft es die Betroffenen völlig unvorbereitet – entwickeln sich die Kinder bis zum Ausbruch der Krankheit noch weitestgehend normal. Isabella hat NCL CLN3 – die sogenannte juvenile Form.

Bei ihrer Geburt war Isabella ein kerngesundes Mädchen. Bis darauf, dass sie ein eher unruhiges Baby war, verliefen die ersten 2 Jahre ganz normal. Dann bemerkten wir, dass sie in ihrer Entwicklung etwas in Rückstand geriet. Das war noch nicht besorgniserregend – lassen sich manche Kinder doch einfach etwas mehr Zeit. Aber der Unterschied zu anderen Kindern wurde – was motorische Fähigkeiten und Sprachentwicklung betraf – immer deutlicher. Dazu kamen plötzlich spontane nächtliche Brechanfälle. Der erste Verdacht unserer Kinderärztin auf einen Gehirntumor konnte zu unserer großen Erleichterung ausgeschlossen werden. Es wurde jedoch eine Unterentwicklung des Kleinhirns festgestellt. Manches ließ sich damit erklären, aber längst nicht alles. In den letzten Monaten von Isabellas Kindergartenzeit fiel auf, dass sie schlechter zu sehen schien. Die Untersuchungen bei mehreren Augenärzten blieben jedoch ohne Befund. Die Augen wären in Ordnung und das Kind hätte bei den Untersuchungen einfach nicht richtig mitgemacht.

Isabellas Entwicklungsverzögerung und motorische Probleme machten uns die Wahl, wo wir Isabella einschulen sollten, nicht einfach. Selbst die Schulärztin war trotz jahrzehntelanger Erfahrung ratlos. Schließlich entschieden wir uns für eine Schule für Körperbehinderte. Dies war die einzige Form der Sonderschule, für die wir aufgrund Isabellas Handycaps – wodurch auch immer verursacht – einen Förderschwerpunkt erhalten konnten. Als Schülerin einer normalen Grundschule konnten wir sie uns nicht vorstellen.

Nach einem wundervollen Sommerurlaub in Schweden und Isabellas erfolgreicher Einschulung im September 2016 verstärkten sich ihre Sehprobleme. Zahlreiche Untersuchungen und Diskussionen später kam einem von Isabellas Ärzten ein Verdacht auf. Nach einem vorläufigen Bluttest und einem genaueren Gentest stand schließlich fest: Isabella hat NCL CLN3. Da war sie bereits fast erblindet.

Im Nachhinein erfuhren wir von anderen betroffenen Eltern, dass wir mit der Diagnose noch sehr schnell dran waren. Andere Familien wissen selbst nach mehreren Jahren nicht, was mit ihrem Kind nicht stimmt. Eine seltene Krankheit wie NCL haben viele Ärzte nicht auf dem Schirm. Jetzt hatten wir die Diagnose und wussten in groben Zügen um die Auswirkungen der Krankheit. Natürlich fielen wir erst einmal in ein bodenloses Loch. Wie wir uns daraus befreit haben, wie herzlich und offen wir in der Selbsthilfeorganisation NCL-Gruppe Deutschland e.V. aufgefangen wurden, wie viele hilfsbereite Menschen es gibt, die nicht lange fragen, sondern anpacken und nicht zuletzt die kompetente Behandlung von Isabella im UKE Hamburg, aber auch wie stur und blauäugig Krankenkassen und teilweise Ämter sein können – damit ließen sich ganze Seiten füllen und werden es sicher auch noch.

Das, was Isabella und all den anderen NCL-Kindern widerfährt, ist ein kaum zu beschreibender Schicksalsschlag. Trotzdem steckt in Isabella so viel Liebe zum Leben und unendlich viel Mut und Tapferkeit, mit der sie den Verlust ihrer Sehfähigkeit erträgt und die unzähligen Hürden meistert, die ihr die anderen vielfältigen NCL-Symptome in den Weg stellen. Auch ihr erster epileptischer Anfall im Dezember 2017 konnte ihr die Lebensfreude nicht nehmen. Ihre Begeisterungsfähigkeit und die tiefe Dankbarkeit für alles, was wir ihr ermöglichen, hält uns Eltern aufrecht.

Die Hoffnung auf einen Therapieansatz zur Behandlung von Isabellas Form von NCL welkt mit der Zeit stetig. Selbst eine vielversprechende Studie müsste über mindestens 10 Jahre angelegt sein, um signifikante Ergebnisse zu liefern. Eine zugelassene Therapie wird es für Isabella somit nicht rechtzeitig geben. Bliebe für sie nur der Weg als Studienteilnehmer. Derzeit sind die Angebote jedoch sehr begrenzt und zu viele Fragen ungeklärt. Studien werden bisher ausschließlich in den USA durchgeführt und – sicher der wichtigste Aspekt für uns – gibt es bis jetzt nur erste höchst experimentelle Ansätze in der Gentherapie, einer Behandlungsform bei der es heißt: Einmal verabreicht und es gibt kein Zurück. Andererseits arbeitet die Zeit gegen uns. Die Ausschlusskriterien für Studien sind sehr streng. Das bedeutet auch, dass Kinder, die in ihrem Krankheitsverlauf bereits weiter fortgeschritten sind, nicht mehr aufgenommen werden. Noch dazu disqualifiziert die Teilnahme an einer Studie für alle weiteren kommenden Versuche.

Bis hierhin die wissenschaftliche Betrachtung: Für Isabella ist die beste Zeit ihres Lebens jetzt. Wir werden alles daran setzen, dass es auch die beste Zeit ihres Lebens WIRD.

Forschung auf dem Gebiet NCL heißt jedoch nicht nur Suche nach Heilung, sondern auch nach besseren palliativen Behandlungsmöglichkeiten. Aber Forschung kostet Geld. Und für die meisten Pharmaunternehmen ist die Untersuchung seltener Krankheiten leider nicht lukrativ genug. Ganz vorn mit dabei bei allen Ansätzen der Forschung ist die NCL-Stiftung, der wir für ihr unermüdliches Engagement danken wollen.

Unbedingt erwähnen möchten wir in diesem Zusammenhang auch noch einmal die NCL-Gruppe Deutschland e.V. Sie vernetzt betroffene Familien und ermöglicht so einen regen Erfahrungsaustausch. Tipps in allen Bereichen, sei es Pflege, Recht oder Hilfsmittel sind Gold wert. Der emotionale Aspekt – das Gefühl, Teil einer Gemeinschaft und damit nicht allein zu sein, ist unbezahlbar. Bei Zusammentreffen wird man nicht argwöhnisch beäugt, sondern kann sein, wie man ist – eine kleine Oase inmitten unseres Wahnsinns.

Wir sind jedem Leser dankbar, der sich – vielleicht auch angeregt durch diesen Blog – zu einer Spende an die NCL-Gruppe Deutschland e.V. oder die NCL-Stiftung hinreißen lässt. Kann diese doch das Zünglein an der Waage sein, um Isabella und den anderen NCL-Kindern das furchtbare Leiden zu ersparen oder ein paar schöne Stunden zu schenken.

Wir – das sind Sabine und Jens, die Eltern von Isabella – wollen mit der Aktion „Gemeinsam gegen Kinderdemenz“ dazu beitragen NCL bekannter zu machen, Verständnis zu schaffen oder einfach nur Interesse zu wecken. Wir möchten aus dem Alltag unserer Familie berichten und damit zeigen, was wir zuerst auch nicht für möglich gehalten haben: Das Leben geht weiter. Noch ist nicht absehbar, wie schnell der Abbau von Isabellas Fähigkeiten voranschreiten wird. Sicher ist nur, dass sie all das, was sie verliert, niemals wieder erlangen kann. Der Kampf gegen NCL ist ein Wettlauf, der nicht zu gewinnen scheint. Wir versuchen es trotzdem, werden jeden Augenblick mit Isabella genießen und gemeinsam das Beste daraus machen.

Weitere Informationen zu NCL gibt es hier:

https://www.ncl-deutschland.de

https://www.ncl-stiftung.de