Bis die Sohlen qualmen – Der Bericht

von Jens

Nun stand er also an – mein persönlicher Anteil am HEROS-Spendenmarsch.

Wohl als letzter Teilnehmer ging ich am 02.08.2021 gut gelaunt an den Start. Fast pünktlich um 7:00 Uhr ging es los. Die Marschroute stand fest und ich war gespannt, was mich unterwegs erwarten würde.

Ein kleines Zeitziel hatte ich mir gesetzt: Unter 10 Stunden wollte ich die 50 Kilometer ableisten. Ob dies zu schaffen war, das musste sich nun zeigen. Am Wetter würde es jedenfalls nicht liegen; die Bedingungen waren geradezu perfekt. Jedoch versuchte mir mein rechtes Bein schon kurz nach dem Start – zu diesem Zeitpunkt noch leise – mitzuteilen, dass es eigentlich gar keine Lust auf dieses Abenteuer hatte.

Nach 3 Kilometern erreichte ich schon die erste Station auf meinem Weg: Die Julius-Leber-Kaserne. Diese ist nicht nur Arbeitsstelle für mich, sie beherbergt auch die Kindertagesstätte „Wilde Wiese“. Dort wurde Isabella während ihrer Kindergartenjahre liebevoll betreut. Leider zeigten sich schon in dieser Zeit erste Anzeichen dessen, was sich später als NCL-Erkrankung herausstellen sollte.
Von dort aus führte mich der Weg entlang dem Kurt-Schumacher-Damm bis zum Berlin-Spandauer-Schifffahrtskanal. Die Ruhe dort war für einen Montagmorgen in der Großstadt geradezu unwirklich.
Nachdem ich der Wasserstraße eine kleine Weile gefolgt war, überquerte ich den Kanal und gelangte daraufhin zur SCS-Schwimmhalle am Rohrdamm. Dort übte Isabella schon während ihrer Kindergartenzeit das Schwimmen. Leider schaffte sie es damals nicht, das Seepferdchen-Abzeichen zu erringen. Noch heute träumt Isabella von dieser Auszeichnung. Mal sehen, ob wir da in der kommenden Zeit noch etwas hinbekommen.
Einige Kilometer weiter warteten gleich zwei weitere Stationen darauf, von mir besucht zu werden. Als erstes waren die DRK Kliniken Westend dran. Dort sind wir seit mehreren Jahren regelmäßig zu Besuch. Ob bei Kontrolluntersuchungen oder in Notfällen – die Ärzt:innen und Pfleger:innen geben jedes Mal ihr Bestes, um Isabella die Auswirkungen ihrer Erkrankung so erträglich wie möglich zu machen.
Gleich vor der Tür der DRK Kliniken Westend befindet sich das Geburtshaus Charlottenburg. Dort kam Isabella 2016 als kerngesunder Wonneproppen auf die Welt.

Es folgte die lange Gerade des Spandauer Damms. War der Weg bis hierher deutlich kurzweiliger gewesen, ließ mich die Eintönigkeit dieser Straße mehr auf das Protestieren meines Beines horchen. Dies war jedoch erst einmal wieder vorbei, als ich in den Olympiapark abbog. So gut gepflegte Sportanlagen suchen ihresgleichen und es war ein Genuss diesen zu durchqueren.

Gleich dahinter befand sich die nächste Station meiner Reise: Die Waldbühne Berlin. Hier waren wir mehrere Jahre hintereinander zu Gast beim Taschenlampenkonzert der Gruppe Rumpelstil. Diese waren für die ganze Familie immer ein Muss. Heute ist für Isabella ein solches Event undenkbar. Die Lautstärke wäre zu viel für sie und die Menschenmassen würden sie ängstigen. Was bleibt, sind schöne Erinnerungen an ein tolles Spätsommerhighlight.

Nun wartete die Heerstraße mit einer ganz besonderen Herausforderung auf mich: Sie schien nicht enden zu wollen. Hielt ich den Spandauer Damm schon für unspektakulär, war die Heerstraße ob ihrer Länge geradezu langweilig. So kam ich wieder häufiger dazu, auf meine schmerzenden Beine zu achten – das linke hatte sich mittlerweile dem rechten in seinem Protest angeschlossen.

Aus der Heerstraße wurde irgendwann der Kaiserdamm und damit wurde es auch für das Auge wieder deutlich interessanter. Langsam aber sicher zogen mich die nächsten Etappenziele wie magisch an. Als aus dem Kaiserdamm erst die Bismarckstraße und endlich die Straße des 17. Juni wurde, hatte ich am Charlottenburger Tor nicht nur die Hälfte der Gesamtstrecke erreicht:
Es ging weiter in den Großen Tiergarten. Hier, kurz hinter der Siegessäule, beginnt und endet sowohl der Berliner Halbmarathon als auch der Berlin Marathon. Für mich die Highlights eines sportlichen Jahres. Es ist ein unglaublich erhebendes Gefühl, wenn man einer unter zig tausendenden Laufbegeisterten aus aller Welt ist, die Füße scharrend auf den Startschuss wartet. Und der Anblick, wie sich die Welle der Läufermassen an der Siegessäule bricht und dahinter wieder vereint, ist grandios. Hier, auf dem 17. Juni, lief Isabella auch einen ihrer letzten Bambiniläufe. Die Medaillen ihrer eigenen, viel zu kurzen Laufkarriere hat sie noch heute und erinnert sich gern daran zurück.
Gleich darauf folgte das Brandenburger Tor. Für mich bei beiden genannten Laufevents das Ziel vor dem Ziel. Das Durchlaufen dieses Bauwerkes gibt Energie für die letzten Meter des Zielsprints. Und obwohl es diesmal nicht das Ende meiner Strecke andeutete, gab es meiner Laune einen gehörigen Schub. Unvergessen bleibt auch der 22. September 2019, als Isabella und wir Eltern an diesem Ort Jan Hähnlein persönlich kennenlernen durften.
Ein paar hundert Meter weiter stolperte ich über einen der vielen öffentliche Trinkbrunnen der Berliner Wasserbetriebe. Sehr zu meiner Freude gehören diese schon länger zum Stadtbild und auch dieses Mal konnte ich meinen Wasservorrat an einem solchen auffüllen und mich etwas erfrischen.
Wenn Berlin, dann auch Fernsehturm. Und so lag auch dieser an meiner gewählten Strecke. Zum Verweilen lud er mich jedoch nicht ein; mittlerweile war jedes Loslaufen fast anstrengender als einfach weiterzumarschieren. Dabei war es bis zum nächsten Etappenziel noch ein ganzes Stück Weg.

Bald folgte leider ein eher demotivierender Streckenabschnitt: Die Schönhauser Allee. Überlaufen und schmutzig stellte sie den absoluten Tiefpunkt der Strecke dar. Die Gehwege waren oft verstellt, so dass ich als Fußgänger auf die Straße ausweichen musste.

Die nächste Station machte alles wieder wett. Nämlich lag die Björn-Schulz-Stiftung auf meinem Weg. Diese Einrichtung ist zu einem unersetzlichen Teil unseres Lebens geworden. Nicht nur werden von hier Isabellas großartige Einzelfallhelferinnen koordiniert. Hier darf Isabella sich auch in der Kunsttherapie ausleben und wir haben die Möglichkeit bei Hospizaufenthalten etwas Kraft zurückzuerlangen. Auch die Geschwisterarbeit der Stiftung ist unglaublich wertvoll. Isabellas Bruder kann hier regelmäßig in einer liebevollen Gruppe für eine Weile die Schwere des Familienalltags ausblenden.

Obwohl sich die Tour nun langsam dem Ende neigte, wollten meine Beine kaum noch weitergehen. Spätestens hier machte es sich negativ bemerkbar allein unterwegs zu sein. Ohne Zuspruch von Leidensgenossen schien der Rest des Weges kaum zu schaffen. Trotzdem ging es weiter, schließlich wollten noch ein paar Ziele besucht werden.

Die nächste Station war das Studio Club Sensei Kampfsport. Hier trainieren Meister Mecit Sizmaz und sein Team nicht nur Kinder, Jugendliche und Erwachsene erfolgreich in der Kunst des Kickboxens. Meister Mecit hat auch immer ein offenes Ohr für die Sorgen seiner Schützlinge. Auch wenn er viel seiner Freizeit dafür opfert, die familiäre Atmosphäre im Studio ist ein Zeuge seinen Anstrengungen. Sehr betroffen von Isabellas Schicksal organisierten Meister Mecit und sein Team im Jahr 2018 ein Freundschaftsturnier zugunsten der NCL-Stiftung. Nicht nur der Spendenerlös war großartig – zum Ende des Turniers verlieh er Isabella einen besonderen Siegerpokal und machte sie damit sehr glücklich.

Nun lagen noch zwei weitere Ziele und eigentlich nur 8 weitere Kilometer vor mir. Aber diese Kilometer hatten es in sich. Meine Beine wollten nicht mehr. Die Muskulatur war verkrampft und die Sehnen in den Knien klirrten wie zu straff gespannte Gitarrenseiten. Aber Aufgeben war keine Option. Also weiter ein Schritt nach dem anderen.

Das Rathaus Reinickendorf war die vorletzte Station auf dem Plan. Hier durfte ich vor 3 Jahren meine wundervolle und unglaublich starke Frau heiraten. Ein klein Wenig dieser Stärke musste sie mir wohl geliehen haben, denn es ging weiter Richtung Ziel.
Der letzte Stopp vor der gedachten Ziellinie war die Toulouse-Lautrec-Schule. Hier wurde Isabella 2016 eingeschult. Wegen motorischer Probleme und Entwicklungsverzögerung war dies sicher die beste Entscheidung für Isabellas Lebensweg. Bald darauf mussten wir jedoch erfahren, dass dies nur Vorboten einer viel schlimmeren Erkrankung waren. Schon 2017 wechselte Isabella dann auf die Johann-August-Zeune-Schule für Blinde und Sehbehinderte. Nun jedoch schon mit der Diagnose NCL.
Diesen Gedanken nachhängend war ich nun wirklich fast am Ende meiner Rundreise angelangt. Zwei Kilometer weiter durchschritt ich die unsichtbare Ziellinie und hatte es geschafft: 50 Kilometer für den Kampf gegen Kinderdemenz!

Ich danke allen, die mich in diesem Vorhaben unterstützt haben, die in Gedanken dabei waren oder mich mit aufmunternden Nachrichten auf Kurs hielten. Ich habe mich über jede Gratulation zur bestandenen Herausforderung sehr gefreut. Ganz besonderer Dank gilt Jan Hähnlein. Sein Engagement für die NCL-Stiftung ist unendlich wertvoll.

Wie versprochen, habe ich meinen „Startbeitrag“ gespendet. Bei dieser Aktion ist schon eine stattliche Summe zusammengekommen.

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